Psychische Manipulation abwehren – Beispiel Hubert Aiwanger

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Dass psychische Manipulation nicht nur im Rahmen von Paarbeziehungen stattfindet, habe ich im Buch Exit Gaslighting deutlich zu machen versucht. Die Mikro- und Makroprozesse psychischer Manipulation folgen einer Systematik, die sich auch in anderen Lebensbereichen finden lässt. 

Hubert Aiwanger, der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern zeigte jüngst, wie man subtile Versuche einer Realitätsumdeutung (= Alternativrealität) aushebeln und abwehren kann. Psychische Manipulation kann durch eine Haltung der Klarheit & Gelassenheit an Kraft verlieren. Dieses Beispiel für erfolgreiche Manipulationsabwehr zeigt aber auch, dass Bewusstsein & Entschlossenheit wichtig sind. 

Dieser Artikel orientiert sich an einem Video, das durch den Journalisten Boris Reitschuster auf beeindruckende Weise „dechiffriert“ wurde. Ich empfehle, das Video vollständig anzuschauen, denn im Nachfolgenden kann nur auf einen Teil & wichtige Schlüsselstellen dieses Videos eingegangen werden.
Parallelen zu jenen manipulativen Mechanismen von Gaslighting, die sich im Buch Exit Gaslighting beschrieben finden, werden sichtbar gemacht. Es wird deutlich, wie man diesen Mechanismen erfolgreich begegnen kann

Wichtig: Dieser Artikel stellt kein politisches Statement dar, das sich auf die Inhalte des Videos bezieht. Als Psychologin, Coach und Autorin von Exit Gaslighting betrachte ich lediglich die kommunikationspsychologischen Phänomene und referenziere auf die Prozesse psychischer Manipulation, die sich in meinem Buch Exit Gaslighting finden.

Psychische Manipulation abwehren (2:06-2:16)

Herr Aiwanger wird mit einer Aussage konfrontiert: „Diese Syrer haben sie gerade gesagt. Finde ich interessant… diese Syrer. Alle, so?“
Herr Aiwanger antwortet: „Nein. Diese Syrer, die seit 2015 bei uns sind, die unter Merkel damals gekommen sind.“

Nachdem die Frage gestellt wurde und Herr Aiwanger zu antworten versucht, fällt man ihm ins Wort. Ruhig und sachlich präzisiert der dennoch, was er genau gesagt und gemeint hat. Psychische Manipulation wird durch unmittelbare Korrektur im Keim erstickt (Wachsamkeit!).

Hier fanden mehrere Dinge durch den Gesprächspartner (GP) von Aiwanger statt: Der Versuch einer Generalisierung, um eine eingegrenzte, konkrete Aussage in eine allgemeine über eine größere Gruppe umzudeuten. Ferner wurde eine emotionale Markierung gesetzt, die zwar neutral klingen soll, aber eine Tendenz unterstellt („Finde ich interessant…“, ergo – „besonders beachtwenswert“). Diese Hervorhebung addiert Bedeutung. Im Buch habe ich diesen Mikroprozess der selektiven Überbetonung als „Setzen eines Bedeutungsanker“ bezeichnet. Bedeutung wird nachträglich hinzugefügt.
Hier würden viele Menschen bereits emotional reagieren, denn: Das Einschieben einer solchen Bedeutung kann Wut auslösen. Oft mit der Folge einer engagierten Rechtfertigung, die dann zu einer Verstrickung auf einer anderen, vom Gegenüber anvisierten Gesprächsebene führen kann.
Es würde ein Themenwechsel stattfinden. Themenwechsel werden bei Gaslighting häufig eingesetzt, um die Sachebene zu verlassen und ein Machtgefälle zu etablieren. Viele Menschen lassen sich hier unbewusst einfangen und gehen mit.

Nicht Herr Aiwanger – er präzisiert und bleibt bei einer sachlichen Antwort. Was als Baustein einer Alternativrelität seinen Anfang hätte nehmen können, löst sich in Wohlgefallen auf. Psychische Manipulation wird abgewehrt.

Psychische Manipulation benennen (3:01-3:39)

Erneut wird Herr Aiwanger mit seiner eigenen Aussage konfrontiert. Eine Wiederholung derselben Frage kann als erneute, selektive Überbetonung gesehen werden. Es wird nochmals Bedeutung suggeriert und damit kreiert. Ein Mechanismus, der bei Gaslighting von Sendern eingesetzt wird. Wiederholungen stiften Bedeutung. Das wirkt auch, wenn die gesetzte Bewertung („interessant“) in sich neutral ist.

„Nochmal, sie sagten gerade – diese Formulierung finde ich interessant – ´Diese Ampel läuft diesen Syrern mit dem deutschen Pass hinterher´.“

Aiwanger antwortet trocken (und zwar auf der Meta-Ebene!): „Ja, das kann man jetzt drei Mal drehen und dann ist das ein besonders böses Wort gewesen. Ich sag…“
Dann wird er unterbrochen: „Nein, nein, nein, nein, nein – das läuft so nicht.“
Aiwanger lächelnd, klar und direkt: Aber andersherum auch nicht!

Als der GP erneut Anlauf nimmt, benennt Herr Aiwanger auf der Meta-Ebene, was passiert. Implizit macht sinngemäß deutlich: „Sie bringen das Thema zum dritten Mal und schrauben daran herum, bis es entsprechend klingt.“
Damit benennt er psychische Manipulation indirekt. Er markiert so die selektive Überbetonung im Rahmen des Gesprächs explizit („ich krieg das mit!“). Herr Aiwanger lässt sich aber nicht genervt auf eine Diskussion ein, sondern beschreibt freundlich und klar auf der Meta-Ebene, was kommunikationspsychologisch geschieht. Dann wird er mit einer Regel unterbrochen („So läuft das nicht!“). Aiwanger formuliert seinerseits eine eigene Regel und entgegnet lässig: „Aber andersrum auch nicht!“. Beeindruckend unbeirrbar erkennt und benennt er Verborgenes und spielt die Bälle souverän zurück.
Anstatt die stummen Regeln und die Richterinstanz des GP anzuerkennen, macht er deutlich, dass er selbst entscheidet, was er im Gespräch toleriert und was nicht. Die „Richterinstanz“ habe ich im Buch ausführlich beschrieben. Ein Sender von Gaslighting versucht durch eben solche Winkelzüge eine Hierarchie im Gespräch zu etablieren und die Deutungshoheit zu beanspruchen (= Machtgefälle). 

Dass Aiwanger hier nicht einsteigt und um die Einladungen herumtänzelt, drängt den GP in die Ecke. Der wird daraufhin persönlich, fast grenzüberschreitend und greift zu einer direkten Zuschreibung:  

„Nein, aber sie machen das häufiger. Ich hab das ja auch beobachtet. Sie hauen einen raus und dann sagen sie `Da wird einem direkt wieder das Wort im Mund rumgedreht`- es hat ja jeder gehört, was sie gesagt haben.“

Diese persönliche, unterstellende Aussage soll den Eindruck erwecken, dass der GP den Überblick hat, Herr Aiwanger denselben verloren hat. Es wird suggeriert, dass dieser sich täuscht und selbst die Tatsachen verdreht.

Erneut finden wir hier ein weiteres der im Buch beschriebenen Charakteristika von Gaslighting: Die Modifikation von Ursachen, Zusammenhängen und Details.
Es gibt hier drei Aussagen, wovon eine versteckt ist. Erste Aussage: Aiwanger haut ab und wann einen raus. Das stimmt. Zweite Aussage: Aiwanger sagt, man drehe ihm das Wort im Mund herum. Stimmt auch. Diese beiden stimmigen Aussagen werden hier verknüpft: Es wird implizit behauptet, dass diese beiden Sachverhalte etwas miteinander zu tun haben. Dies ist die dritte (stumme) Aussage. Das eine geht aus dem anderen hervor. Das wird nicht gesagt, aber die Verknüpfung ist da.
Problematisch ist, dass die Verknüpfung keine hörbare, sichtbare Aussage ist, sondern eine versteckte. 
Es wird so eine Zustimmungstendenz erzeugt. Denn – es wird ja nichts Unwahres GESAGT (aber unterstellt, durch die Verknüpfung).
Von drei Aussagen sind also zwei zutreffend, was rechnerisch vereinfacht 66% Wahrheit bedeutet. Wir finden auch keine sichtbare, hörbare Falschaussage (die ist versteckt). Problem: Die 66% gefühlte Zustimmung genügen oft, um einem nicht unbedingt zutreffenden, unsichtbaren, dritten Aspekt zuzustimmen.
Der GP konstruiert eine alternative Erklärung für das Verhalten von Aiwanger (ein Bild neuer Zusammenhänge und Ursachen zu erzeugen) und sich selbst aus dieser Gleichung herauszusubtrahieren. Genau so funktioniert die Konstruktion einer alternativen Realität (AR).

Unter anderem sind hier folgende Mikroprozesse wirksam: Zuschreibung, Ausblenden (Verleugnen) eigener Aussagen, d.h. eine subtile Externalisierung von Verantwortung, ferner eine Umdeutung. Ausgesagt wird implizit: Aiwanger ist selbst schuld, dass er sich manipuliert fühlt, das bildet er sich ein, denn er konstruiert (eine Projektion, die wir später noch einmal finden).
Als externe Beobachter der Szenen können wir klar sehen, dass der GP durchaus seinen Beitrag zu den Gefühlen von Herrn Aiwanger leistet. Es fanden konkrete Versuche einer Umdeutung & Generalisierung statt. Ergo Ansätze für psychische Manipulation.

Durch Umkehrung mittels einer persönlich werdenden, provokativen Projektion wird der Versuch unternommen, die Oberhand (Deutungshoheit) zurückzuerlangen und die Sachebene zu verlassen, auf der Herr Aiwanger sich nicht einfangen lässt.
Wäre Aiwanger hier einsteigen, hätte dies alle zurückliegenden Situationen in ein für ihn unvorteilhaftes Licht (im Sinne der Deutungshoheit des GP) gerückt. 

Aiwanger reagiert auf die einzig richtige Weise. Er sagt nur: „Ja, ja.“
Er springt nicht emotional an, er steigt nicht auf dieses Rechtfertigungs-Angebot ein. Galant vermeidet er es, sich im Netz zu verfangen und wehrt so psychische Manipulation ab.
Durch Gelassenheit vermeidet Aiwanger es, in eine defensive Position zu fallen (Opfer, Drama-Dreieck).
Psychische Manipulation wird (indirekt) benannt und deutlich gemacht.

Psychische Manipulation auf der Meta-Ebene entschleiern (3:56-4:56)

Hier gibt es einen raschen Schlagabtausch mit vielen Unterbrechungen. Herr Aiwanger wird u.a. mit der Frage konfrontiert:

Finden sie, das ist eine adäquate Formulierung? Oder ist das eine, die dazu angetan ist, wieder, sozusagen, dem Affen Zucker zu geben?“

Mit anderen Worten wird hier gefragt: „Drücken sie sich hier nicht etwas daneben aus?“ – eine Aussage des GP, die zur Rechtfertigung einlädt und von der sachlichen auf die persönliche Ebene wechselt. Hier findet ein subtiler, freundlich klingender Angriff statt. Auch wenn die Worte nicht benutzt werden, wird hier eine moralische Frage gestellt: „Ist diese Formulierung angemessen oder unangemessen?“.
Eines der Charakteristika von Gaslighting ist, wie bereits beschrieben, die Einnahme der Richterinstanz. Dabei berufen sich Sender von Gaslighting häufig auf bestimmte Moralvorstellungen und Regeln. Teilweise halten sie sich selbst nicht an diese Regeln und wenden diese willkürlich nur an für sie passenden Stellen an.  Das Etablieren moralischer Regeln kann ein Charakteristikum sein, durch das der Sender zum „Richter über richtig und falsch“ wird. 

Aiwanger hingegen bekommt wieder mit, was geschieht und reagiert erstklassig auf der Meta-Ebene: „Machen wir jetzt hier eine Straßendebatte? Also ich glaube, es geht um die Sachverhalte. Und die Sachverhalte sind in meinen Augen völlig falsch aufgehängt. Und jetzt…“

Aiwanger wird beim Versuch, die Sache zu besprechen, wieder unterbrochen: „Aber das kann man ja sagen.“

Aiwanger daraufhin: Sie lenken jetzt schon wieder von der inhaltlichen Debatte ab ins Wording ab ´Aiwanger hat ja diese Syrer gesagt und nicht die Syrer`.“

Der Gesprächspartner behauptet: „Das habe ich nicht gesagt.“ 

Zuerst sehen wir, dass diese Verschiebung der Gesprächsebene von der Sache zum moralischen Vorwurf sichtbar ist. Dies wird von Aiwanger benannt. Als Beobachter der vorigen Szenen wissen und sehen wir: Genau das geschieht. Und was Aiwanger inhaltlich benennt, konnten wir ebenfalls beobachten – eine wiederholte, selektive Überbetonung, die einen Bedeutungsannker an das von Aiwanger Gesagte geheftet hat. 

Damit entschleiert Aiwanger die psychische Manipulation auf der Meta-Ebene der Kommunikation: „So sprechen wir gerade miteinander – das findet statt!“

Psychische Manipulation anhand von Beispielen aufzeigen (5:02-5:30)

In dieser Szene wiederholt Aiwanger gesagte Sätze und bettet diese in seine Feststellung auf der Meta-Ebene ein. Er bleibt glasklar bei seiner Wahrnehmung, ohne sich einschüchtern zu lassen:

„Ja aber diese Syrer, sie haben mir unterstellt, ich würde pauschal sagen, alle Syrer. Sondern diese Syrer…“
Aiwanger wird erneut unterbrochen: „Hat ja jeder gehört.“
Aiwanger daraufhin: „Ja, is ja gut, aber wie man es interpretiert… Ich hab nicht gesagt diese Syrer und meine alle Syrer dieser Welt, sondern diese Syrer…“
Hier wird er erneut unterbrochen: „…die in 2015 gekommen sind.“
Aiwanger nickt und sagt: „Ja, diese Syrer, das sind diese Syrer.“

Aiwanger präzisiert nicht nur, sondern macht deutlich, dass er eben nicht einfach etwas sagt, das gehört wird, sondern dass eine bedeutsame Interpretation seiner Aussagen stattfindet. Er wird dabei selbst seinerseits nicht angreifend.
Eine solche Sachlichkeit kann nur von jemandem ausgehen, der sich der Sachlage und seiner selbst bewusst ist („ich weiß, was ich gesagt habe und was hier passiert“). Aiwanger bleibt unbeirrbar und klar auf der Sachebene. Auf emotionale Lagerkämpfe oder Rechtfertigungen lässt er sich nicht ein.

Das Einlenken des Gesprächspartners, der den Satz von Aiwanger versvollständigt könnte als Beschwichtigungsversuch gedeutet werden: „Schau, ich habe es doch verstanden“.
Auf der Beziehungsebene wird dadurch Freundlichkeit,  Verständnis und Verbundenheit signalisiert.
Dies ist umso verwirrender, da zuvor mehrmals subtile Provokationen, Unterbrechungen und Manipulationsversuche stattfanden, sowie Wechsel von der Inhaltsebene auf das Wording erfolgten. 

Bei allem bleibt Aiwanger sachlich, klar und erläutert mit einfachen Worten die kommunikationspsychologischen Mechanismen. Anstatt sich auf Beschwichtigungsversuche oder Rechtfertigungen einzulassen, bleibt er klar bei seinem Ziel: Psychische Manipulation auf der Meta-Ebene sichtbar zu machen und mit konkreten Beispielen zu unterfüttern. Wichtig: Er sagt nicht: „Hier findet psychische Manipulation statt!“ – die Erkenntnis wird dem Betrachter überlassen. Und das ist auch gut so!

Psychische Manipulation ablehnen und Einfordern einer Entscheidung (5:30-6:41)

Nachdem die Diskussion immer wieder in Kritik am Wording gelenkt wurde (= Themenwechsel), legt Aiwanger in diesem Abschnitt die versteckte Systematik auf den Tisch und entkräftet sie dadurch. Und zwar mit einfachen Worten.

Zu beginn bestätigt er: „Es sind die [Syrer] von 2015…“
Gesprächspartner: „…denen die Ampel jetzt mit dem Pass hinterherläuft. Das war der zweite Satz. Das haben sie gesagt, nicht ich.“

Bereits hier kippt der GP wieder auf die moralische Wording-Ebene. Der GP nimmt eine Korrektur vorweg für etwas, das nicht gesagt wurde. Damit wird implizit unterstellt, Aiwanger könnte dies monieren. Indirekt wird der Versuch unternommen, Aiwanger als jemanden dastehen zu lassen, dem man das sagen müsse, da er sonst „überreagieren“ würde. Eine implizite, nicht sichtbare Zuschreibung („Das haben sie gesagt, nicht ich“).  

Aiwanger könnte hier auf dieses unsichtbar von ihm gezeichnete Bild anspringen und sich irritieren lassen, weil dies nicht zum ersten mal, sondern wiederholt geschieht. Würde Aiwanger hier einsteigen würde er unbeabsichtigt dem Bild entsprechen, das zu zeichnen versucht wird.
Würde er einsteigen, würde Aiwanger dieser Einladung in eine Alternativrealität folgen. Sich zu rechtfertigen wäre wie eine Annahme der Deutungshoheit (= Unterlegenheit). Doch – das tut er nicht. Er wehrt sich nicht gegen diese Nebelrakete, geht gar nicht darauf ein, sondern – bleibt auf der sachlichen Inhaltsebene

Aiwanger: „Genau. Aber nicht dass der schnell aufs Amt geht, holt seinen Pass ab und sagt zum Libanesen `Ellebätsch, ich hab ihn, du noch nicht`“

Aiwanger konkretisiert hier seine Aussage vorab auf eine Weise, so dass keine Umdeutung mehr erfolgen kann. 

Eine andere Teilnehmerin der Runde bringt sich ein: „Aber es ist ja jetzt nun nicht so, als ob alle Syrer, die in 2015/2016 gekommen sind jetzt sich in äh in Schlachten mit Libanesen oder mit wem auch immer befinden.“
Aiwanger greift präzise die erneute, implizite Unterstellung in der Aussage auf: „Das habe ich ja auch nicht gesagt.“
Die Dame: „Das hat sich aber so angehört.“
Da Aiwanger dies tatsächlich nie so gesagt hat, handelt es sich bei der Aussage der Frau um eine subjektive Wahrnehmung. Gegen diese wehrt er sich wiederum nicht, sondern lässt sie als solche stehen „Ja, wenn es sich für sie so angehört hat. In Essen haben wir den Fakt, dass Hunderte Syrer auf der einen Seite mit Hunderten Libanesen auf der anderen Seite sich mit Dachlatten und so weiter…“

Unmittelbar danach wechselt er zurück zur inhaltlichen Ebene, doch erneut wird Aiwanger (dieses Mal von der Dame) unterbrochen: „Da sind wir uns doch einig. Das wollen wir ja auch nicht, dass die eingebürgert werden.“

Aiwanger lässt sich nicht beirren, wechselt immer wieder prompt zurück zum Thema, zur Sache und benennt Fakten.
Diese Technik des wiederholten Zurückkehrens auf die inhaltliche Sachebene (Worum ging es mir nochmal?) habe ich im Leitfaden zur Gesprächsführung in Exit Gaslighting als Zirkeln bezeichnet. 

Aus einem kaum verständlichen Gewirr von Sätzen der anderen Mitrednern verschafft sich Aiwanger dann mit einer klar verständlichen Aussage Gehör: „Und schon wieder kriegt Aiwanger eins über die Mütze, weil vielleicht verstanden werden könnte, dass er sagt `Alle Syrer mit allen Libanesen`… also wo wollen wir denn hin? Wollen wir die Dinge beim Namen nennen oder wollen wir Wording-Debatten führen?“

Aiwanger wiederholt seine Beobachtung auf der Meta-Ebene, ohne dabei persönlich gekränkt zu wirken. Präzise benennt er die wiederholten Versuche, eine Sachdiskussion durch versteckte, moralische Vorwürfe abzulösen. Sein klares Statement makeriert die wiederholten, auf seine Person gerichteten Unterstellungen deutlich. Das schafft Bewusstsein beim Zuhörer für das, was stattfindet, bietet eine neue Betrachtungsebene an. Er lässt mehr erkennen, dass psychische Manipulation stattfindet, als dass er es konkret ausdrückt.
Dabei unterstellt Aiwanger den Mitrednern keine böse Absicht, sondern mutmaßt, dass diese bei den Zuhörern einen falschen Eindruck verhindern wollten.
Ein cleverer Schachzug. Indem er die Winkelzüge mit einer Art Präventivschlag gegen sich selbst gleichsetzt, nimmt er jeglichen Diskussionen, er fühle sich persönlich angegriffen, den Wind aus den Segeln. 

In meinem Buch Exit Gaslighting habe ich ebenfalls beschrieben, wie Sender von Gaslighting einen bestimmten Zustand beim Empfänger verursachen (z.B. Wut durch eine Abwertung) und dies dann als Beweis für eine vorab getätigte Aussage (z.B. „du hast dich nicht im Griff!“) nutzen. 

Die abschließende Frage von Aiwanger fordert die Mitredner zur einer Entscheidung auf. Er fordert ein klares Statement von den Anderen, worüber auf welcher Ebene gesprochen werden soll (Worum geht es hier?). Bei allem bleibt Aiwanger verbindlich und bezieht die Teilnehmer mit ein. 

Damit liegt der stinkende Fisch der wiederholten Ablenkung (psychische Manipulation) auf dem Tisch und kann nicht mehr versteckt werden. 

Psychische Manipulation durch Gelassenheit in sich kollabieren lassen (6:50-12:21)

Dieser Abschnitt ist der letzte meiner Analyse, wenngleich das vollständige Video 30 Minuten dauert. In dieser Phase eskaliert die Dynamik in eine sichtbare psychische Manipulation. Deshalb ist dieser Abschnitt im Speziellen wichtig. Die Analyse konzentriert sich auf die wichtigsten Passagen. Das Gespräch wurde an dieser Stelle sehr intensiv, phasenweise unruhig und durcheinander. Ich empfehle unbedingt, das gesamte Video anzuschauen, denn auch Mimik und Gestik der Gesprächsteilnehmer sind bedeutungsvoll! 

GP: „Ich tu mich wahnsinnig schwer mit dieser sehr generalistischen Ansage und ich frag mich gerade die ganze Zeit… wissen sie, auch in Bayern ist es ja so, ohne viele Zuwanderer würde auch ihr schönes Bayern schon lange nicht mehr so funktionieren.“
Aiwanger: „Das habe ich ja auch nicht gesagt.“
GP: „Nein, nein…“
Aiwanger lacht: „Das wollen sie mir aber schon wieder in den Mund legen.“ 

Der GP bezeichnet nun die Aussagen von Aiwanger als „sehr generalistisch“, obschon Aiwanger unermüdlich um eine differenzierte Konkretisierung seiner Aussagen bemüht war und keine Mühen scheute, alles so zu spezifizieren, dass es nicht mehr generalisiert werden können. 
Der GP selbst wechselt nun auf ein generelles Thema (ohne Zuwanderer), weg von der spezifischen Aussage Aiwangers. Ein erneuter Versuch einer Generalisierung, während genau das vorgeworfen wird (= Verdrehung).
Aiwanger bleibt gelassen, lacht sogar, ist gleichzeitig selbstsicher und klar: Erneut beschreibt er, was auf der Meta-Ebene geschieht. Aiwanger begegnet manipulativen Mechanismen schlicht, indem er sie aus der Beobachter-Position benennt, sichtbar werden lässt und dadurch ihr unsichtbares Wirken entkräftet.  

 

GP: „Lassen sie mich die Frage stellen. Ich hab ihnen nichts in den Mund gelegt, die Frage ist nur – Haben sie eine Idee davon, wie das für die klingt, für die vielen, vielen Anderen, die morgens aufstehen, die wahnsinnig hart arbeiten, die teilweise zwei, drei Jobs gleichzeitig machen? Die genau das Andere versuchen, von dem, was sie gerade beschrieben haben.“ 

Erneut wechselt der GP auf eine generellere Ebene. In einem Nebensatz wird der Beobachtung von Aiwanger widersprochen („Ich habe ihnen nichts in den Mund gelegt.“). Wir konnten jedoch beobachten, dass Versuche der Generalisierung, selektiven Überbetonung und (impliziten) Zuschreibung mehrfach unternommen wurde. 

GP: „Wie, wie… was glauben sie, was da bei denen ankommt?“

Aiwanger: „Mit der Masche kriegen sie mich jetzt nicht, denn das sind genau die…“

GP: „Mit welcher Masche?“
Aiwanger: „Dass sie mir jetzt sagen, ich hätte was gegen die Ausländer oder die würden uns unser System kaputt machen…“

Aiwanger enttarnt die hinter der Formulierung des GP versteckte, implizite Botschaft („Sie haben also kein Mitleid mit denen, die hart arbeiten?“). Er torpediert diese Generalisierung erneut gelassen, denn – dies hat er so nie gesagt oder auch nur vermuten lassen. Er macht durch seine Gelassenheit die konstruierte Realität sichtbar und distanziert sich davon. Aiwanger erkennt und benennt dieses Vorgehen als Masche und sagt klar „nein“ zu dieser Art von Gesprächsführung („So kriegen sie mich jetzt nicht!“).  Damit nimmt er dem GP sinnbildlich das Operationsbesteck aus der Hand, das Werkzeug weg. Der GP geht in Verteidigung und – das Gespräch eskaliert auf skurrile Weise:


GP „Nein, nein, stopp, stopp, stopp. Sie haben so einen komischen Verfolgungswahn. Ich schieb sie nicht in irgendeine Ecke. Ich will nur etwas verstehen… Welche Angst haben sie denn? Vor mir müssen sie keine Angst haben.
Aiwanger: „Nein, weil ich einfach merke, dass sie mir das Wort im Mund herumdrehen.“
GP: „Nein! Sie sind wahnsinnig misstrauisch.“
Aiwanger gelassen: „Ja.“

Hier finden wir eine teilweise Übereinstimmung mit einer sehr alten (zwar auf eine eheliche Gemeinschaft beschränkte) Definition des Gaslighting-Syndroms nach Kutcher (1982)*, nach dessen Meinung „[…] ein Partner […] versucht, den anderen für verrückt erklären […] zu lassen […]“.
Als Außenstehende dürfen wir uns einerseits fragen, auf welcher Ebene dieses Gespräch gelandet ist und ob der GP überhaupt in der Position ist, die psychische Verfassung beurteilen zu können. Ferner finden wir hier konkrete Zuschreibungen, welche den bisherigen Kontext verlassen und nicht subjektiv, sondern faktisch ausgedrückt werden  („Sie haben…“, „Sie sind…“).
Parallel verrutscht hier eindeutig die Augenhöhe. Der GP erhebt sich durch seine Fragen in den Rang von psychotherapeutischem Fachpersonal, während dadurch eine Degradierung von Herrn Aiwanger zum „Patienten“ erfolgt.
In einem Atemzug spricht der GP Herrn Aiwanger die psychische Gesundheit ab und betont dann, dass man vor ihm (GP) keine Angst haben müsse (eine double-bind-Botschaft, vereinfacht: „Ich würge dir eine rein, aber man muss keine Angst vor mir haben!“). Aiwanger wird als überempfindliches, verängstigtes Wesen zu zeichnen versucht, wodurch der GP die Deutungshoheit erneut beansprucht – dieses Mal aber auf einer sehr persönlichen Ebene!  

Völlig angemessen, sachlich und gelassen bleibt Aiwanger bei seiner Wahrnehmung und lässt sich vom Monolog des GP nicht beeindrucken. Auf die Aussage „Sie sind wahnsinnig misstrauisch!“ entgegnet Aiwanger nur mit „Ja.“


Der GP interpretiert weiter und kreiert eine Geschichte, indem er neue Zusammenhänge (s.o.) knüpft: „Weil sie merken, mit der Art und Weise, wie sie reden kann man was anfangen. Das merken sie.“
Aiwanger entgegnet: „Nein. Ich sag ihnen die Antwort auf die Frage…“
Damit versucht Aiwanger den Sprung zurück auf die inhaltliche Sachebene zu finden (= Zirkeln), von der sich der GP weit entfernt hat. 

Doch der GP unterbricht ihn: Wissen sie, was das Thema ist? Es ist interessant, was da gerade passiert. Ich hab das Gefühl, sie unterstellen mir, dass ich ähnlich eeeehhh unterwegs bin, wie sie auch.“

Aiwanger schüttelt hier nur den Kopf

GP: „Sie nehmen sich fünf Fakten zusammen und schrauben sie so zusammen, dass ein knackiger, spannender Satz dabei herauskommt und sie haben das Gefühl, das könnte ich möglicherweise auch. Ich könnte das auch, aber ich mache das nicht.“

Der GP verlässt hier – aus meiner Sicht – eindeutig die Ebene des Nachvollziehbaren und konstruiert in wilder Spekulation einen Sachverhalt, den er dem weiterhin gelassenen Aiwanger zuschreiben möchte (denn er weiß, „was das Thema ist“ – Deutungshoheit). Der GP äußert hier sogar, dass er dies auch kann, aber nicht tut (das Konstruieren).
Die Frage an den aufmerksamen Beobachter: Was haben wir beobachtet? Projiziert hier nicht vielleicht jemand etwas auf einen anderen und unterstellt diesem, er würde projizieren? 

Aiwanger schafft zum Ende hin das Kunststück, sich von dem gesamten Monolog des GP zu distanzieren, indem er alles einfach stehen lässt. Eben das ist der Schlüssel, um psychische Manipulation abzuwehren!
Er steigt nicht ein auf diese Ebene, rechtfertigt und verteidigt sich nicht. Aiwanger äußert einfach, wie er aus seiner Sicht in dieses Gespräch gegangen ist und was er wahrgenommen hat. Dies schickt er voraus, um direkt im Anschluss den Sprung auf die Sachebene zu vollziehen: Ich bin offen in dieses Gespräch gegangen. Als sie mit ´diesen Syrern´ schon begonnen haben, was draus zu drehen, da hab ich gesagt ´Auf was will er denn raus?´ und jetzt geb ich ihnen ganz kurz die Antwort auf die Frage.


Den erneuten Versuch, das Gespräch auf das Wording zu lenken torpediert Aiwanger, indem er unbeeindruckt auf der Sachebene weiterspricht und : „Die, die dort arbeiten kommen mittlerweile auf mich zu und sagen ´Wir wünschen uns, dass auch die anderen arbeiten müssen´. Auch der türkische Arbeiter sagt zu mir ´Ich will nicht, dass Syrer oder auch meine Landsleute´ – wie auch immer – ´im Bürgergeld ist und uns deskriditert als die Ausländer´. Sondern die, die bei uns ordentlich arbeiten und sich ordentlich benehmen, die sind mittlerweile eher enttäuscht über die deutsche Politik. Dass wir zuschauen, wie einige aus dem Ruder laufen und sagen – daraus entwickelt sich eine Anti-Ausländer-Stimmung. Das ist der Punkt.“

Damit schließt Aiwanger auf der Sachebene ab und verdeutlicht dadurch auch, wie wichtig ihm die Sache ist. Gleichzeitig entkräftet sein Statement alle vorherigen Versuche einer Generalisierung & Verformung seiner Aussage. Er wirkt glaubwürdig, weil seine Ehrlichkeit spürbar ist. Psychische Manipulation hat gegen die sanfte, aber standhafte Wahrheit keine Chance.  

Zusammenfassung

Psychische Manipulation erwächst aus vielen, kleinen Mikroprozessen, die in ihrem Zusammenwirken ein Netz auslegen, in das man tappen kann. Wie das Beispiel von Herrn Aiwanger zeigt, muss das nicht zwangsweise geschehen. 

Die Werkzeuge, um psychische Manipulation auszuhebeln sind Bewusstsein (über sich selbst und die Vorgänge), sowie ein Bekenntnis und eine gute Verbindung zur eigenen Wahrnehmung. Das „sich verfangen“ in der Gegendarstellung ist ebenso ein Fallstrick, wie die emotionale Aktivierung. Potentielle Fight-, Flight-, Freeze oder Fright-Reaktionen spielen im Rahmen von Stress eine nicht unerhebliche Bedeutung. 
Ein unglaublich hilfreiches Werkzeug ist das Erkennen von impliziten Botschaften und deren Benennung auf der Makro-Ebene. Dies und vieles mehr habe ich in meinem Buch beschrieben. 

Herr Aiwanger hat aus meiner Sicht ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür geliefert, dass psychische Manipulation nur dann greifen kann, wenn da einer ist, der solche Spiele durchschaut und bewusst nicht mitspielt, sondern bei sich bleibt.

Erneut betone ich, dass ich mich als Psychologin, Coach und Autorin von der inhaltlichen Ebene oder einer Affinität zu einer bestimmten politischen Haltung distanziere. Dieser Artikel stellt lediglich eine kommunikationspsychologische Analyse auf Basis des Werkes „Exit Gaslighting“ dar.  

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*Kutcher, SP. The gaslight syndrome. Can J Psychiatry. 1982 Apr;27(3):224-7. doi: 10.1177/070674378202700310. PMID: 7093877.

Image Credit: Image by Mario from Pixabay

5 Antworten

  1. Liebe Kristina,
    ich freu mich sehr, dass und wie du dieses großartige Beispiel für Gaslighting und wie ihm begegnet werden kann, aufgegriffen hast. Vielen lieben Dank dafür! Das „Interview“ war einerseits kaum auszuhalten für mich vor lauter Trigger, und andererseits hab ich mich so gefreut, wie souverän Herr Aiwanger reagiert hat – ein tolles Vorbild in Sachen kommunikative Selbstbehauptung! Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Beispiele und auch so etwas wie gezieltes Kommunikationstraining zum Erkennen und Reagieren bzw. Nicht-Reagieren in einer Gesprächssituation auf die verschiedenen kommunikativen Manipulationstechniken beim Gaslighting. Sicher ist eine sich seiner selbst und des Gegenübers bewusste Haltung die Basis für ruhige Sachlichkeit, und in deinem Buch findet sich auch alles wunderbar zusammengefasst. Es ist halt nochmal ein Riesenschritt in die Selbstbehauptung in der jeweiligen Situation… Danke für deine Unterstützung dabei, liebe Kristina, dein Artikel wird kräftig von mir geteilt :).

    1. Liebe Ingrid,
      ich freue mich sehr über Deine wahren Worte. Ich habe einige Zuschriften erhalten, bin Menschen, die ähnlich empfunden haben.

      Tatsächlich erlebe ich immer mehr, dass Menschen intuitiv eine Abneigung gegenüber derartiger Kommunikation spüren (auch wenn sie nicht immer wissen, weshalb). Es stimmt mich sehr zuversichtlich, dass wir Menschen uns eigentlich etwas anderes wünschen – auf Augenhöhe – MIT- und nicht gegeneinander.

      Herr Aiwanger hat sogar das geschafft in diesem Gespräch! Das finde ich ganz schön stark.

      Vielleicht wird unsere Kommunikation bewusster, klarer – ich würde es mir sehr wünschen. Vor allem hinsichtlich dessen, klar zu bleiben. Über weniger Verwirrung im miteinander wären wir alle bestimmt froh.

      Und man lernt mit jedem Mal ein bisschen dazu. Ehrlichkeit wirkt, das spürt man in diesem Beispiel auch.
      Ganz herzlichen Dank fürs Teilen, Deine Zeit und die lieben Worte, liebe Ingrid ❤️🙏

      Herzlichst,
      Kristina

  2. Liebe Frau Peters,
    mit Hochspannung habe ich sowohl Ihr Buch als als diese Analyse gelesen. Schon beim Lesen des Buches war ich fasziniert von der Klarheit, die es ermöglicht, diesem komplexen Thema so gut zu folgen, es ist sehr sehr hilfreich, tausend Dank!

    1. Liebe Morgentau, danke für diesen tollen Kommentar! Das Buch ist immer aus Werkzeug gedacht gewesen, um diese emotional stark beladene und verwirrende Thematik zu erkennen, zu verstehen und Klarheit zu bringen. Gerade deshalb freue mich sehr über diese Worte. Vielen Dank ❤️🙏 und liebe Grüße!
      Kristina

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