Gaslighting in (spirituellen) Gemeinschaften: Das Guruparadox

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Im letzten Beitrag ging es um Beispiele für psychische Manipulation aus der Literatur.

Die Mechanismen der psychischen Manipulation, wie sie in Exit Gaslighting beschrieben sind, lassen sich nicht auf Paarbeziehungen allein begrenzen. In diesem Beitrag soll es heute um Gaslighting in (spirituellen) Gemeinschaften gehen. Unter anderem beziehe ich mich hier auf das Buch „Das Guruparadox“ des Kollektiv Conscious Evolution.  

Bevor Du loslegst: Dieser Beitrag ist nicht dafür gedacht, um spirituelle Gemeinschaften jedweder Art zu verurteilen oder abzuwerten. Es geht um die Darstellung eines kollektiven Gaslighting-Phänomens, das in jeder Gruppierung auftauchen kann. Dafür möchte dieser Beitrag sensibilisieren. 

Über Gemeinschaften und Spiritualität

Beweggrund für diesen Beitrag ist meine seit Jahren gelebte Spiritualität. Aus meinem persönlichen Erleben ist nicht alles spirituell, was als spirituell bezeichnet wird.

Wir Menschen brauchen Gemeinschaft. Sie ist wichtig. Verbundenheit/Zugehörigkeit gehört als Bindungsbedürfnis zu unseren zentralen Grundbedürfnissen

Doch Gemeinschaft fordert uns auch heraus. Hier prallen Universen aufeinander. Wir Menschen sind vielschichtig und tragen vieles in uns. 

Was hindert uns an einem gesunden Miteinander? Gerade in spirituellen Gemeinschaften lässt sich beobachten, dass es oft die eigenen unbewussten Schattenseiten sind. 
Das im o.g. soziologischen Buch als „Guruparadox“ bezeichnete Phänomen kann als eine (unbewusste) Übernahme egozentrischer Motive bezeichnet werden. Dabei wird genau das Gegenteil von dem gelebt, was behauptet wird. Und genau damit sind wir beim beim Thema.

In spirituellen Gemeinschaften findet nicht selten eine Form von kollektivem Gaslighting statt. 
Dabei kreieren „Führer“ oder „Gurus“ indirekt oder direkt stumme Regeln, anhand derer die Gruppenmitglieder „gemessen“ werden. Eine solch destruktive Hierarchie kann bewusst oder unbewusst sein.

Mechanismen des Gaslightings greifen z.B. dann, wenn behauptet wird, dass Menschlichkeit, Mitgefühl und das höhere Wohl der Menschen zentrale Werte einer Gemeinschaft seien, während Gruppenmitglieder gleichzeitig subtil abgewertet, ignoriert oder kritisiert werden, wenn sie menschliche Regungen zeigen oder den „Ansprüchen“ nicht gerecht werden. Siehe hierzu auch das Video zum Thema „Spirituelle Arroganz„.    

Eintritt in eine spirituelle Gemeinschaft: Das Gefühl von Zugehörigkeit

Beim Eintritt in eine spirituelle Gemeinschaft fühlen sich Menschen oft angezogen von der Aussicht auf spirituelles Wachstum und gemeinsame Ziele. Anfangs herrscht oft eine Atmosphäre der Freude, des Willkommenseins und der Geborgenheit.

Viele denken in der Anfangszeit, den richtigen Ort endlich gefunden zu haben. Einen Ort, an dem man sich verstanden und akzeptiert fühlt. Eine Gemeinschaft, mit der Verbundenheit erlebt werden kann.
Das Bindungsbedürfnis ist befriedigt, man erfährt für seine Individualität vielleicht Bestätigung, Anerkennung und bekommt gesagt, man sei ein wichtiger Teil der Gemeinschaft (siehe 1. Makroprozess in Exit Gaslighting).

Erste Auffälligkeiten: Subtile Ablehnung menschlicher Regungen

In vielen (nicht allen) spirituellen Gemeinschaft gibt es oft den Wunsch nach „Erleuchtung“. Leider verbirgt sich hinter diesem Begriff oft eine mit Arroganz gepaarte Haltung, bei der zutiefst menschliche Empfindungen, Zustände und Regungen abgelehnt werden. 

Reagiert man beispielsweise mit Wut oder erlaubt sich, traurig zu sein, kann es passieren, dass die Gemeinschaft hierauf mit Ablehnung oder Ignoranz reagiert. Oder hinsichtlich der erlebten Gefühle „belehrt“ wird. Was gefühlt wird, darf nicht stehen bleiben. Denn es passt nicht zu dem, wo man hin möchte. 

Diese Prozesse sind nicht bei allen Gemeinschaften aktiv, können aber vorkommen. Dabei kann dies bewusst oder unbewusst von statten gehen.

Das Verhalten eines „Führers“, „Gurus“ oder auch anderer Gruppenmitglieder suggeriert, dass menschliche Emotionen und Regungen unvereinbar mit einem spirituellen Ziel sind. Das muss nicht ausgesprochen werden, aber es ist spürbar. 

Gurus, Führer oder Mitglieder der Gruppe können (unbewusst) Gefallen daran finden, die Regeln zu definieren. Einfluss zu haben, sich überlegen zu fühlen. Weil sie anderen „die Richtung weisen“ können.  Das stumme Regelwerk wir dann zu einem Instrument, um das eigene Machtbedürfnis zu befriedigen. Kritische Betrachtungen oder ein Hinterfragen sind unerwünscht. Im Dogma wir das gesunde „an-sich-selbst-denken“ zum Egoismus verzerrt. Menschliche Gefühle und Regungen werden als Hindernis auf dem Weg zur „Erleuchtung“ abgelehnt und ausgeklammert.

So kann es passieren, dass in spirituellen Gemeinschaften menschliche Regungen abgelehnt werden.

Anpassungsversuche & Selbstzweifel: Schleichendes Gaslighting

Um sich anzupassen und nicht ausgegrenzt zu werden, unterdrücken Mitglieder oft unbewusst, eigene Emotionen und Bedürfnisse. Sie beginnen, an sich selbst zu zweifeln und glauben mehr und mehr, dass es falsch sei, echte Regungen zu zeigen.
Die eigene Wahrnehmung wird in Frage gestellt. Durch die stummen Regeln & das Verhalten anderer Mitglieder wird suggeriert, dass das Gefühlte unangemessen, unerwünscht & zu beenden ist.

Dies kann als schleichender, subtiler Gaslighting-Prozess verstanden werden. Das Selbstbewusstsein wird untergraben und das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung geschwächt.

Das Leid der Betroffenen: Verwirrung, Stress und Selbstzweifel

Diese Prozesse führen zu einem ständigen Erleben von Stress, Verwirrung und unterschwelliger Angst. Auch das dürfte den meisten Menschen vertraut vorkommen, die Exit Gaslighting gelesen & Gaslighting erfahren haben.

Man fühlt sich ständig unter Druck, da man das Gefühl hat, dass man es nie richtig machen kann. Hält man sich nicht an die etablierten „Regeln“, lautet die unterschwellige Botschaft, dass man „falsch“ oder „nicht gut genug“ ist.

Oft stimmen diese Botschaften mit zentralen Glaubenssätzen der Betroffenen überein, die im Kontext solcher Gemeinschaften wieder reaktiviert werden können. 
In der Folge erleben sich Menschen in solchen Gemeinschaften dann genau so: Falsch und unzureichend. Und das kann eine massive Belastung sein.

Einfluss anderer Teilnehmer & die Verzerrung menschlichen Leids: Das Gegenteil von "erleuchtet"

Jene Gruppenmitglieder, die derartigen Regeln folgen, verstärken den Gruppendruck auf Einzelpersonen und das Gefühl, „falsch zu sein“. Sie werden (unbewusst) zu Stellvertretern einer manipulativen, dogmatischen Ideologie eines Gurus oder „Führers“. Gravierend deshalb, weil die eigene Wahrnehmung dann mit einer Mehrheitsmeinung konfrontiert wird. Und hier neigen wir erfahrungsgemäß zur Anpassung (siehe Konformitätsexperiment von Asch).

Dieses durch Ablehnung menschlicher Regungen entstandene Leid ist alles anderes als spirituell.

Wird menschlichem Leid mit Gleichgültigkeit begegnet oder dahin verzerrt, dass es als Maßstab der „Erleuchtung“ genutzt wird, bewegen wir uns weit außerhalb dessen, was ich unter Spiritualität verstehe.

Trauer, Schmerz & Wut sind Bestandteile unseres Erlebens. Ihr Auftauchen bedeutet nicht, dass jemand gerade „voll im Ego“ oder „noch nicht weit fortgeschritten“ ist.
Vielmehr bedeutet es, dass man seiner menschlichen Seite annehmend begegnet, sich dem Fühlen öffnet. Dazu müssen wir nicht aggressiv werden oder uns in Trauer verlieren. Aber wir dürfen es fühlen. Alles andere geht an dem vorbei, was gelebte Spiritualität für mich bedeutet.

Nicht zuletzt deshalb finden viele Menschen den Weg in solche Gemeinschaften, die Schwierigkeiten damit haben, ihre eigenen Gefühle wirklich zu fühlen
Angst vor eigenen Gefühlen, der menschlichen Verwundbarkeit zu haben, ist ebenfalls menschlich. Doch die unbewussten Schatten von Gurus und Anhängern verkehren sich in der spirituellen Blase zu einem Werkzeug der Kontrolle, das für viele Menschen Enttäuschung, Leid & Schmerz mit sich bringt.

Genaugenommen ist das eine Verdrängung, die zur Regel erhoben wird. Spiritualität bedeutet, die menschliche Seite anzunehmen, damit leben zu lernen und gesund zu integrieren.

Gemeinschaft - "Ja!" - mit Vertrauen in die eigene Wahrnehmung

Wir brauchen Gemeinschaft. Spiritualität ist für mich ein Teil meines Seins. Dies ist kein Beitrag, um derartige Gemeinschaften per se zu verurteilen oder abzuwerten.

Es ist nur wichtig zu erkennen, dass es derartige Phänomene gibt und dass man sorgfältig und mit Geduld prüfen sollte. Bei manchen Gemeinschaften wünschen wir uns, dass sie ein Leben lang halten. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir gesunde Voraussetzungen dafür schaffen, dass es langfristig im Miteinander funktioniert.

Dafür ist es unabdingbar, den eigenen Gefühlen und seiner Wahrnehmung zu vertrauen. Und dies als gegebenes Geburtsrecht – auch in Gemeinschaften – als Voraussetzung einzufordern. Falls Augenhöhe nicht erwünscht ist, ist ein zentrales Charakteristikum von Gaslighting vorhanden. Du solltest dann die Beine in die Hand nehmen.

Aus meiner Sicht bedarf es keines Gurus oder Führers. Wenn wir in Gemeinschaften alle darauf achten, dass keiner die Deutungs- und Regelhoheit beansprucht, kann jeder seine Stärken gewinnbringend einbringen.

Wir können von Menschen „lernen“, die uns als „Lehrer“ inspirieren. Ein wahrer Lehrer würde von sich selbst niemals behaupten, einer zu sein. Daran kann man erkennen, wo man gelandet ist.

Betritt ein Mensch den Raum mit dem (stummen) Anspruch der Überlegenheit, darfst Du direkt Abstand nehmen.

Bei der Wahl einer Gemeinschaft ist es entscheidend, sich den Raum der Selbstbestimmung zu bewahren und zu prüfen, ob die Regeln (auch die unausgesprochenen) zu einem passen und ob man mit ihnen im Einklang ist. Wichtig auch zu prüfen, ob wirklich gelebt wird, was gepredigt wird.

Kompromisse sind wichtig. Immer dann, wenn wir in Gemeinschaft sind. Offenheit & Akzeptanz sind wichtig – wenn wir in Gemeinschaft sind.

Am wichtigsten aber ist, sich & der eigenen Wahrheit treu zu bleiben und sich nicht in einem System zu verlieren, das die individuelle Menschlichkeit verurteil oder unterdrückt.

Sei hier achtsam mit Dir!

Spiritualität & Gemeinschaft | Wie könnte es gehen?

Nach langer Zeit hatte ich kürzlich ein sehr schönes Gespräch mit einem lieben Freund, der seit Jahren praktizierender Buddhist ist. Er erzählte mir, dass er erst jetzt begonnen habe, wirklich zu fühlen, was in ihm vorgehe. Er reflektierte auch, dass er sehr „verkopft“ gewesen sei & die Erleuchtung als in unmittelbarer Nähe befindlich empfunden habe: „Dabei war ich so weit weg davon, überhaupt zu fühlen, was in mir vorgeht.“

Dieses Gespräch war auch deshalb so schön, weil spürbar war, dass er sich selbst seine Menschlichkeit wieder erlaubte. Echte Begegnung fand statt. Ohne Hierarchie. 

Genau diese Form von Reflektion und Innenschau würde ich mir für jeden Menschen wünschen. Denn dann werden gelebte Spiritualität & Gemeinschaft möglich, ohne dass wir uns bezüglich menschlicher Eigenschaften „gaslighten“ (lassen) müssen.

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